Gesundheitszeugnis

4.11.1941
Gesundheitszeugnis für Eheschließung

Heute beginnen wir mal mit einer Preisfrage. Aus welcher Zeit stammt wohl folgendes Zitat "Der vornehmste und höchste Beruf ist immer noch der der Frau und Mutter, und es würde das unausdenkbarste Unglück sein, wenn wir uns je von diesem Standpunkt entfernen ließen". Naaa? – Falsch. Wir sind nicht im 17. oder 18. Jahrhundert, auch nicht im 19. Jahrhundert. Vielleicht kommen Sie beim nächsten Zitat drauf, das ich Ihnen jetzt vorlese: "Die Ehe kann nicht Selbstzweck sein, sondern muß dem einen größeren Ziele, der Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse dienen". Das war doch eindeutig, oder? Für den Fall, daß Sie Zweifel haben, noch ein Zitat: "Vorher mußte ich mir ein Ehetauglichkeitszeugnis vom Gesundheitsamt ausstellen lassen, auch benötigte ich einen arischen Nachweis. Wegen eines Hüftleidens wurden mir im Gesundheitsamt Vorhaltungen gemacht, denn diese Erbkrankheit könnte dem arischen Menschen schaden. Erst als mein Verlobter, Parteimitglied seit 1932, im Gesundheitsamt vorsprach und sich beschwerte, wurde die Eheerlaubnis gegeben". Jetzt ist der Groschen doch hoffentlich gefallen. Ja, wir sprechen vom sogenannten Dritten Reich.
Am 4. November 1941 haben die Nationalsozialisten eine Verordnung zum Ehegesundheitsgesetz erlassen, eine Verschärfung der berüchtigten "Blutschutzgesetze" von 1935, die z.B. Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verboten. Alle arischen Heiratskandidaten – ausgenommen Soldaten – brauchen nun zuerst eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vom Gesundheitsamt, sonst darf nicht geheiratet werden. Und damit hatte unsere Zeitzeugin von vorhin also ihre Schwierigkeiten. Die Behörden können ein Aufgebot aber nicht nur wegen biologischer, sondern auch wegen psychischer und sozialer "Mängel" ablehnen. Da genügt es beispielsweise schon, wenn jemand länger arbeitslos ist oder von der Sozialhilfe leben muß. Wer aber in das Raster ideologischer Vorurteile hineinpaßt, brav, angepaßt und vor allem gesund ist, der kann auch Kinder haben, ohne verheiratet zu sein. Unverblümt ermuntert die Reichsjugendführung deshalb junge Frauen mit der Parole: "Ihr könnt nicht alle einen Mann kriegen, aber ihr könnt alle Mütter werden". Den ledigen Müttern und ihren Kindern wird tatkräftige Unterstützung zugesagt, vorausgesetzt es handelt sich um "rassisch und erbbiologisch wertvolles Material". Dann können sie gerne beim "Lebensborn" und seinen Heimen unterkommen. Diese Heime sollen auch regelrechte Arierzuchtanstalten gewesen sein, wo angeblich hohe SS-Leute mit ausgesuchten Mädchen verkuppelt wurden, alle blond, groß und nordisch, auf daß die germanische Rasse angemessen veredelt werde.

Die Nationalsozialisten betreiben in ihrem Fortpflanzungswahn einen ausgesprochenen Mutterkult: der Muttertag – beileibe keine Erfindung der Nationalsozialisten – wird zum nationalen Feiertag erklärt und sogar ein Orden für kinderreiche Frauen eingeführt, das Mutterkreuz. Dieser Orden mit der Inschrift "Das Kind adelt die Mutter" gibt es in Bronze für 4-5 Kinder, in Silber für 6-7 Kinder und in Gold für 8 und mehr Kinder. Die damit ausgezeichneten Frauen dürfen bei Parteiveranstaltungen auf Ehrenplätzen sitzen, kriegen Freikarten zu öffentlichen Veranstaltungen und haben bei den Behörden Vortrittsrecht. Sie bekommen außerdem bevorzugt Plätze in der Straßenbahn, im Zug und im Altersheim. Die NS-Bevölkerungspolitik stößt allerdings nicht überall auf Zustimmung. Für gewisse "zersetzende Elemente" ist das Mutterkreuz bloß ein "Kaninchenorden". Und den dickschädeligen Bayern will auch nicht so recht in den Kopf, was daran so gut sein soll. "Gebt's uns lieber a Geld, a Kreuz ham mir so gnug", sollen uneinsichtige, bayerische Frauen gesagt haben. Recht g'habt habt's!