Attentat auf Adenauer

27.3.1952
Münchner Buben verhindern Attentat auf Adenauer


Ich weiß nicht, aber manchmal habe ich ein sehr zwiespältiges Verhältnis zur Bildung. Wie oft schon habe ich mich auf irgendwelchen kulturellen Veranstaltungen tödlich gelangweilt. Bildung kann aber nicht nur in diesem symbolischen Sinne tödlich sein, sondern ganz real und existenziell. Sie meinen, ich übertreibe mal wieder? Ganz im Gegenteil, Adenauer sei mein Zeuge. Er sollte nämlich mit Hilfe eines 700 Seiten schweren Lexikons ermordet werden. Nicht so primitiv, wie Sie jetzt vielleicht denken, indem der schwere Schinken als Wurfgeschoß oder Hammer mißbraucht worden wäre. Nein, man hatte sich schon etwas Angemesseneres ausgedacht: Das Buch ist innen sorgfältig ausgehöhlt worden, um einer Bombe Platz zu machen. Daß der Plan dann doch nicht funktionierte, tja, auch das hat etwas mit Bildung zu tun. Also, ich erzähl Ihnen jetzt die spannende Geschichte von Anfang an.
Es geht um zwei Münchner Buben, die zu gefeierten Helden wurden, weil sie in der Schule im Deutschunterricht gut aufgepaßt haben. Und das war so: Am 27. März 1952, abends um sechs, wollten sich der Werner und der Bruno, 12 und 13 Jahre alt, wieder einmal ungefragt an einem Amischlitten zu schaffen machen, um sich mit Fensterputzen etwas Geld zu verdienen. Manchmal klappte es, häufiger aber wurden sie beschimpft und weggeschickt. Bevor es diesmal soweit kommen konnte, wurden sie von einem Fremden angesprochen. Er versprach den beiden ein gutes Trinkgeld, wenn sie für ihn ein Paket zur Post brächten. Er könnte es leider nicht selber machen, weil in fünf Minuten sein Zug abfahren würde. Die Buben waren schnell überredet, drei Mark für einen Botengang, da hatten sie sich ihr Geld schon schwerer verdient. Unterwegs überfiel sie die Neugier, denn das Paket war in Zeitungspapier eingewickelt. Zu gern hätten sie gewußt, wohin es ging. Nur noch schnell umgeschaut, ob sie niemand beim Auspacken beobachtete. Merkwürdig, da war ja der Mann, der es angeblich so eilig hatte, und er schien ihnen zu folgen. Jetzt wurde es den beiden unheimlich. Es gelang ihnen, den Fremden abzuschütteln und sich das Paket genauer anzusehen. Auf dem braunen Packpapier klebte ein Zettel mit der Aufschrift: "An dem Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer", Absender war ein Professor Dr. Berghof aus Frankfort. Der falsche Dativ, Frankfurt mit O und das von einem Professor, das war zuviel. Bruno und Werner gingen mit ihrem Paket zur Polizei.

Für die war der Vorgang auch sehr verdächtig und sie holten ihren erfahrendsten Sprengmeister aus dem Bett; der lag nämlich eigentlich grippekrank daheim. Im Keller des Polizeigebäudes versuchte er das Paket zu öffnen, doch es explodierte. Der Sprengmeister war sofort tot. Das Paket lag in über 8000 Kleinteilen zerstreut im Raum, konnte jedoch von Spezialisten wieder zusammengesetzt werden und lieferte so wichtige Hinweise auf den oder die Täter. Auch die beiden Buben erwiesen sich als nützlich, konnten sie doch den Fremden genau beschreiben. Die Hinweise verdichteten sich auf einen in Paris lebenden Mann, der jedoch nicht verhaftet werden konnte, weil die französische Polizei nicht mitspielte. Die Angelegenheit hatte sich nämlich zu einer heißen politischen Affäre entwickelt. Zu jenem Anschlag bekannte sich eine obskure "Organisation jüdischer Partisanen", die die Wiedergutmachungsverhandlungen zwischen Israel und Westdeutschland stören wollte: Mit einem Mörderstaat könne und dürfe man nicht verhandeln, hieß es in ihrem Bekennerschreiben, die Massenmorde an den europäischen Juden seien nicht wiedergutzumachen. Auch wenn der unheimliche Fremde nie gefunden wurde, für die deutsche Öffentlichkeit waren die Münchner Buben Helden und sie wurden von Konrad Adenauer nach Bonn eingeladen, wo jeder von ihnen eine goldene Uhr bekam. Was wohl aus den beiden geworden ist? Ob sie gescheit genug waren, sich vom mörderischen Geschäft der Politik fernzuhalten?