Bayerische Verfassung

26.10.1946
Schlußabstimmung über die Bayerische Verfassung

"Angesichts des Trümmerfeldes, zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des Zweiten Weltkrieges geführt hat, in dem festen Entschlusse, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens der Menschlichkeit und des Rechtes dauernd zu sichern, gibt sich das Bayerische Volk, eingedenk seiner mehr als tausendjährigen Geschichte, nachstehende demokratische Verfassung…" Am 2. Dezember 1946 trat also die neue, bayerische Verfassung in Kraft, die allerdings schon gute zwei Monate vorher, nämlich am 26. Oktober 1946, das Licht der Welt erblickte. An diesem Tag wurde sie per Abstimmung durch die verfassunggebenden Versammlung mit großer Mehrheit gebilligt. Sonderlich feierlich ging es dabei offenbar nicht zu, trotz des hohen Anlasses, weil es an Heizmaterial fehlte. Die Süddeutsche Zeitung berichtete: "Durchdringende Obstkälte erfüllte als ungebetener Gast die Aula der Universität mit ihrem frostigen Hauch, die Mitglieder des Hohen Hauses saßen … frierend in ihren Mänteln und das Auf- und Niedersetzen bei den Abstimmungen … wurde als willkommene Bewegung empfunden, um warm zu werden".
"Angesichts des Trümmerfeldes" – diese anrührenden einleitenden Worte zur Bayerischen Verfassung waren nämlich sehr wörtlich gemeint. Zwar gab es nun schon seit über einem Jahr keinen Krieg mehr, doch München sah immer noch so aus, "als ob eine Bombe eingeschlagen hätte". Es war aber leider nicht nur eine, es waren viele Bomben gewesen, die die Stadt so zugerichtet hatten. Und es sah nicht nur in München so aus, sondern in vielen anderen Gegenden Bayerns und Deutschlands. Deutschland – ein Trümmerhaufen. Die amerikanische Besatzungsmacht, die damals in Bayern das Sagen hatte, war deshalb ernsthaft beunruhigt. Der eklatante Mangel an fast allen Dingen des täglichen Bedarfs, vor allem an Nahrungsmitteln und Wohnungen, trieb die Menschen immer mehr zur Verzweiflung, machte sie apathisch und hoffnungslos und somit anfällig für radikale Lösungen. Das war auch ein Grund dafür, warum die Amerikaner darauf gedrängt hatten, möglichst schnell wieder geordnete Verhältnisse herbeizuführen. Und mit einer neuen Verfassung sollte nun ein Anfang gemacht werden. Dieser Plan der amerikanischen Militärregierung stieß nicht überall auf Zustimmung, hatten viele Kritiker doch wenig Vertrauen in das Demokratieverständnis der Deutschen, die immerhin zwölf Jahre politischer Entmündigung hinter sich hatten.

Dafür ging es dann in den Beratungen zur Verfassung aber recht friedlich zu, die Entscheidungen fielen vor allem bei informellen Gesprächen zwischen führenden Mitgliedern der CSU und SPD. Die Atmosphäre war geprägt von Kompromißbereitschaft und sachlicher Auseinandersetzung, auch wenn die Themen noch so kontrovers waren: Sollte es beispielsweise einen Staatspräsidenten geben, welches Wahlrecht, wie hoch sollte die Sperrklausel für Parteien sein, Plan- oder Marktwirtschaft, Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule, Senat: ja oder nein, und so weiter, und so fort. Über eine Frage jedoch herrschte bei allen Beteiligten weitgehende Einigkeit, nämlich bei der Frage der bayerischen Eigenstaatlichkeit. Bayern wollte sich den Beitritt zu einem künftigen deutschen Bundesstaat offen halten durch den Passus, daß ein solcher Zusammenschluß deutscher Einzelstaaten auf freiwilliger Basis geschehen sollte. Doch da hatte man die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Amerikaner, die sich während der Beratungen zur bayerischen Verfassung vornehm zurückgehalten hatten und großen Wert auf deren demokratisches Zustandekommen legten, bestanden nun darauf, daß aus der Kann-Vorschrift ein Muß wurde. Besatzungsrecht geht eben immer noch vor Verfassungsrecht, da nützt einem auch die ganze, schöne Demokratie nichts.