Ruhetag und Urlaub – ein Interview

Ruhetag – Urlaub? Das hat’s gar nicht gegeben!“ 
Ein bearbeitetes Interview mit der ältesten Wirtin Münchens

in: zeitenweise. Geschichtsmagazin für München, Nr. 3, Gastliches München, November 1998, S. 12-14

Anna Hoffmann stammt aus Kötzting im Bayerischen Wald. Die Eltern besaßen ein Friseurgeschäft und hatten neun Kinder. Sie selbst wurde 1907 geboren und ging 1924 zu einer ihrer Schwestern nach München, wo sie kurz danach ihren Mann kennen l ernte und heiratete. Seit 1937 arbeitet sie im Westend als Wirtin: zuerst 30 Jahre in der „Bergmannsquelle“, ab 1967 ein paar Straßen weiter im „Geroltstein“, wo sie heute [1998] noch hinterm Tresen steht. An 2-3 Tagen in der Woche hilft ihre Tochter aus, ansonsten macht die 91jährige alle Arbeiten alleine, auch das Putzen. Frau Hoffmann bewohnt im ersten Stock, über ihrer Gastwirtschaft, eine 3-Zimmer-Wohnung.

Meinen Mann hab ich hier in München kennen gelernt, bei einer Tanzveranstaltung. Er war Gastwirtssohn. Sein Vater hat eine Wirtschaft gehabt, den Adlerhorst im Westend. Wir haben dann geheiratet und 1933 ist das erste Kind gekommen, die anderen beiden erst nach dem Krieg, eins 1946 und meine Tochter 1947. Mein Mann mußte 1941 in den Krieg, nach Griechenland. Von dort ist er krank heimgekommen und deshalb schon 1953 verstorben. In der Zeit, wo er weg war, hab ich alleine die Wirtschaft gemacht. Eine Bedienung hab ich schon gehabt, ab und zu. Aber gekocht hab ich selber. Da bin ich jeden Tag um sieben schon herunten gewesen und vor halb zwei nicht ins Bett gekommen. Manchmal ist es auch durchgegangen, da haben die Gäste dann gesagt, um halbe zwei: „Jetzt geh'n wir noch nicht heim und machen in der Küche weiter". Als es mir zuviel geworden ist, bin ich aus der Bergmannsquelle weg, die war mir zu groß. Dann hab ich ins Geroltstein gewechselt. Aber meine Stammtischleute hab ich fast alle mitgenommen. Die kommen heut noch jeden Tag. Ich mein, mal ist einer in Urlaub weg oder es ist mal einer verhindert, aber sonst sind sie regelmäßig jeden Tag da. Und hier hab ich weiter gekocht, da hab ich erst aufgehört vor drei, vier Jahren. Jetzt gibt's bloß noch Brotzeiten.

Einen Ruhetag hab ich nie gehabt, keinen Sonntag, keinen Ruhetag. Und dann haben meine Kinder allweil gesagt: „Mach doch auch mal einen Ruhetag!" Und dann hab ich gesagt: „Geh! Die Stammgäst meinen ja, ist jetzt die narrisch worden, jetzt macht die auch einen Ruhetag". Na ja, und da haben mich die Gäste mal ein bißchen geärgert und da hab ich gesagt: „So, jetzt mach ich einen Ruhetag!" – Um fünfe abends hab ich dann wieder aufgesperrt. Ich hab's einfach nicht fertig gebracht. Mei, oder Urlaub! Seit ein paar Jahren mach ich drei Wochen Urlaub. Aber vorher, das hat's ja gar nicht gegeben. Da hast du schon Angst gehabt, wenn du jetzt Urlaub machst, daß du vielleicht Gäste verlierst. Aber die kommen hernach auch wieder. Die gehen ja auch in Urlaub und fragen mich nicht. Ein Jeder geht in Urlaub, der sagt dann: „Ja, ich bin halt jetzt nicht da“, und aus. Und Weihnachten! Da war ich früher immer bis um halb zwei nachts in der Wirtschaft. Am Heiligabend, mei, da ist ja Bier geholt worden an der Gassenschenke, bis um halb zwei in der Früh. Meine Kinder hab ich beschert am hinteren Tisch; in der Wirtsstube war praktisch niemand. Die haben bloß das Zeug geholt, draußen. Ja, ein paar, die halt keine Heimat gehabt haben, die hab ich rein sitzen lassen. Meine Tochter war dann oft sauer. „Naa“, sagt sie, „ich könnt nie Wirtin machen“, sagt sie. „Was wir als Kinder gelitten haben! Die Mutti war allweil in der Wirtschaft!“

Wie ich meinen Ausschank noch gehabt hab, ganz früher, da ist das Bier offen geholt worden mit den Maßkrügen. Da hat es die drei Quartel gegeben, das ist ja fast eine Maß gewesen. Und das ist jeden Tag zum Abendessen geholt worden. Was hab ich für eine Gassenschenke gehabt! Aber die ist hinfällig geworden, weil es so viele Abholmärkte gibt, an allen Ecken und Enden. Der da vorn an der Ecke, der verlangt fürs Bier eine Mark, ja, da können wir nicht mitmachen, weil wir so auch noch Zahlungen haben, die Versicherungen und dann die Nebenkosten. Früher war ja das Bier nicht so teuer, ich weiß noch, ein halbes Bier für 49 Pfennig! Und jetzt kostet es drei Mark achtzig! 49 Pfennig, und das weiß ich deshalb so genau, weil keinen Pfennig hat man gehabt und die Rentner haben mir eine Mark fünfzig gegeben und gesagt: „Jetzt hab' ich drei Bier zahlt, drei Pfennig krieg ich noch zurück." Und das Anschreiben! Also momentan hab ich keine Anschreibearbeit. Das war aber gewaltig, mehr wie heut. Da sind die Gäste gekommen, haben die letzten drei Tage gezahlt, und am Montag, Dienstag: „Hm – darf ich wieder aufschreiben lassen?“ Das war dann immer von Woche zu Woche, weil die haben ja einen Wochenlohn gekriegt. Ich bin auch öfters mal sitzen geblieben auf der Rechnung. Man hat dann schon gewußt, wer darf anschreiben und wer nicht. Aber jetzt momentan hab ich keine Anschreiber. Gibt's nicht mehr.

Schwierige Zeiten waren die Kriegszeiten. In der Zeit haben wir ganz normalen Gastwirtsbetrieb gehabt, den ganzen Krieg durch. Aber das Essen und Trinken hat man so schwer hergekriegt. Mei, da hat's mal wieder Fische gegeben oder dann hast rote Rüben gehabt, was du halt gerade gekriegt hast, und manchmal bist da gewesen: „Ja, was kochst' denn heut? Ach! Knödel, Knödel mit Soß“. Und das Bier, das ist ja immer dünner worden. Und dann hat's die Molke gegeben, und wenn wir wieder ein paar Fässer gscheites Bier gekriegt haben von der Brauerei, da ist die Schlange angestanden ums Bier. Aber wenn´s aus war, hast zusperren müssen, die Molke hat ja niemand mögen. Also ich muß sagen, ich hab auch im Krieg immer Gäste gehabt, immer auch Männer. Waren halt viel ältere Leut dabei. Die haben dann Karten gespielt und über Fußball geredet oder so allgemein. Politisiert hat man weniger. Damals hat man an der Eingangstür schon gewußt, wer kommt, zu wem man „Heil Hitler" sagen muß und zu wem man „Grüß Gott" sagen kann. Die Mehreren waren ohne „Heil Hitler". Aber einmal, – bei mir war allweil so ein Schild über der Tür, „Auf Wiedersehn" hat's da geheißen -, da haben sie gesagt, das Schild gehört runter, da gehört „Heil Hitler" 'rauf. Dann haben wir halt „Heil Hitler" 'rauf gemacht.

Heut gibt´s ja keine richtigen Wirte mehr. Die junge Leut fangen an, die meinen, das was in der Kasse ist, gehört alles ihnen, und nach einem Jahr kommen die Zahlungen. Und dann sind sie fertig. Ich hab schon viele gehört – ein Jahr machen sie's, und dann ist Schluß. Die meinen, das geht schon, die Braten kommen vom Fenster rein. Die richtigen Wirte, die sterben aus. Ja sowieso! Und auch die Brauereien. Früher war das so: Die Malerei, die Renovierungen, das hat alles noch die Brauerei übernommen. Die haben ja damals noch mehr gemacht, aber zur Zeit geht gar nichts. Da mußt du alles selber machen. Ich hab jetzt für die Malerei wieder 1800 Mark gezahlt. Zu meinem 90. Geburtstag, da hat´s ein Freibier gegeben, aber das haben sie nur gemacht, weil ich ja über 30 Jahre da bin. Im November 1997 waren’s 30 Jahre, und dann haben die gesagt: Schmeißen wir das zusammen, Geburtstag und das 30-jährige. Da haben sie den Bierwagen her, und 100 Regensburger und 100 Brezen, daß ein jeder zum Bier hat essen können.

Mein Mann ist früh gestorben, deshalb hab ich nur eine kleine Rente. Aber heiraten hätt ich nicht mehr mögen. Ich hätt mehrere Angebote gehabt, aber ich hab gesagt: „Nein. Mit Kindern? Nein!“ Der mag dich vielleicht, aber die Kinder mag er dann nicht. Nein, ich hab mir gedacht, das machst du nicht! Ich hab nur eine kleine Rente, aber ich müßt nicht arbeiten, um leben zu können. Ich brauch ja fast nichts. Wenn ich runter geh, mag ich eine Tasse Kaffee, vielleicht nachmittags noch einmal eine Tasse, abends ein bißchen Essen. Man braucht ja nicht viel. Ich mach weiter, weil's mir Spaß macht. Das geht einem in Fleisch und Blut über, da brauchst du es. Ich mag ein Bier, abends zum Essen. Aber mit den Gästen trink ich nicht. Na ja, sagt da mal einer: „Jetzt trinken wir ein Schnapserl“, dann trinken wir halt einmal ein Schnapserl. Und wenn keiner mehr da ist, dann sperr ich zu, manchmal um neune, zehne, manchmal auch später. Dann mach ich den Zapfhahn sauber und was du halt alles machen mußt. Biergläser waschen, und was halt anfällig ist. Aber sonst bin ich wunschlos glücklich. Es geht allweil so weiter, ich hab keine Beschwerden. Ich hab ja alles, ich bin wunschlos glücklich.