Die Hühnerfutterrede – Johann Semler

4.1.1948
Die Hühnerfutterrede von Johann Semler

Bayerischer Rundfunk, 4.1.1995

Spannend war sie schon, die Bundespräsidentenwahl 1994, und so knapp ist sie ausgegangen. Am Anfang hätt's ja sogar fast noch so ausgeschaut, als ob wir vielleicht zum allerersten Mal eine Bundespräsidentin kriegen würden, aber die schöne Dame mit dem weißen Haar hat halt doch keine Chance gehabt gegen die beiden wichti-, äh, würdigen Herren. Immerhin, sie war in der engeren Wahl, und das haben wir bei einem Bundeskanzler noch nie gehabt. Apropos: wie müßte das dann heißen? – Bundeskanzlerin? Bundespräsidentin geht ja noch, aber Bundeskanzlerin? Naja, wie dem auch sei, da werden wir wohl noch länger drauf warten müssen, auf unsere deutsche Maggie Thatcher. Aber als Bundespräsidentin hätte ich mir unsere Hildegard Hamm-Brücher schon vorstellen können, nicht nur, weil sie eine Augenweide ist, gescheit ist sie auch noch, Chemie studiert hat sie und Englisch kann sie ausgezeichnet. Das ist ja nicht so selbstverständlich in dem Amt. Ich kann mich noch gut erinnern an einen Bundespräsidenten aus den 60er Jahren, der seinen Staatsgästen einmal sagen wollte, daß das Theater gleich losgeht. "Equal goes it loose" hat er dann gesagt. Aber da gibt's noch viel schlimmere Sachen, übersetzungsmäßig, mein ich. Kürzlich hab ich eine nette Autobiographie gelesen von der Ursula Herking, die Kabarettistin und Schauspielerin mit der Knubbelnase, die in München der Trümmerzeit, gleich nach dem Krieg, zusammen mit dem Erich Kästner so große Erfolge hatte und später im Film oft trampelige Dienstmädchen gespielt hat. Also, diese Ursula Herking war blitzgescheit, hat auch gut Englisch gekonnt, und das war damals, Ende der 40er Jahre, noch eine Seltenheit. Deshalb hat sie bei den Amis in Straubing dolmetschen müssen. Und einmal kamen da zwei Nonnen hereingerauscht und wollten dringend den Chef sprechen. Weil sie auch ein bißchen Englisch konnten, wollten sie auf die Dolmetscherin verzichten und haben ihn direkt angeredet: "Captain, we would like to have an intercourse with you". Nun bedeutet "intercourse" eigentlich alles andere als Unterredung, wie Sie sicherlich wissen, und der biedere Captain soll nicht schlecht erschrocken sein über das unsittliche Angebot.
Die Ursula Herking war übrigens mehrmals verheiratet, unter anderem auch mit einem gewissen Johannes Semler, und der war CSU-Mitbegründer und damals Direktor der Verwaltung für Wirtschaft. Daß er seinen Direktoren-Posten bald wieder los wurde, hat er indirekt auch einem Übersetzungsfehler zu verdanken. Im weitgehend zerstörten Deutschland hungerte die Bevölkerung nämlich auch noch im Jahre drei nach der Stunde Null und die amerikanische Besatzungsmacht mußte kräftig dabei mithelfen, daß die West-Deutschen wieder auf die Füße kamen. Als sie die deutschen Politiker fragten, was sie denn am meisten brauchen könnten an Nahrungsmitteln, antworteten jene: Korn, also Brotgetreide. Korn heißt im Englischen praktischerweise auch Korn bzw. corn, aber im Amerikanischen wird unter corn vorwiegend Mais verstanden und daraufhin schickten die Amerikaner halt haufenweise Mais, mit dem wiederum die Deutschen wenig anzufangen wußten. Und der Johannes Semler hat sich dann in einer Rede am 4. Januar 1948 fürchterlich darüber aufgeregt, daß man sich jetzt für dieses "Hühnerfutter" auch noch bedanken müsse. Das haben die Amerikaner wiederum nicht so gut gefunden und haben ihn abgesägt. So schnell kann's gehen. Übrigens: Hühner scheinen für Politiker generell etwas unverdaulich zu sein. Die sogenannte bayerische Krampfhenne beispielsweise soll schon so manchem hohen Tier im Schlund stecken geblieben sein.