Muße und Müßiggang

Muße und Müßiggang 
Versuch einer Annäherung an eine vergessene Lebensform

Eine Untersuchungen im Auftrag der LH München 2000

Die Konzentration auf die wesentlichen Dinge 
gelingt am besten über zeitweiliges Nichtstun. 
Wenn der Mensch äußerlich scheinbar nichts tut, 
tut sich etwas in ihm. 
Die größten Leistungen vollbringen wir immer dann, 
wenn wir nichts tun. 
Denn dann erwacht die alles belebende Fantasie 
(Aristoteles).


Die post(post)modernen, westlichen Gesellschaften von heute sind wie nie zuvor beherrscht von den Maximen Arbeit und Geld, also Arbeit im Sinne von Erwerbstätigkeit mit monetärem Wert. Arbeit ist die „Norm aller gesellschaftlichen Beurteilung“ (Bertrand Stern), sie soll gar den „Sinn des Lebens“ ausmachen, und das Geld hilft dabei, jegliche Sinnsuche zu ersetzen. Was die heutige Gesellschaft von der vor noch vielleicht 20 Jahren im wesentlichen unterscheidet, ist der Grad der Verinnerlichung und Anerkennung der globalisierten Marktgesetze als quasi unveränderliche Naturgesetze. Gerade bei den innovativen Wachstumsbranchen („new economy“) wird Arbeit nicht mehr als Abhängigkeit oder Entfremdung, sondern als Mittel zur freien und kreativen Entfaltung des Einzelnen begriffen. Die Bereiche Arbeit und Freizeit durchdringen einander immer stärker, die marktorientierte „Kolonisierung der gesamten Lebenswelt“ (Jürgen Habermas) scheint vollzogen. Der Politiker und Schriftsteller Johano Strasser spricht in dem Zusammenhang von einer perfekten Selbstinstrumentalisierung, die an Selbstdressur grenzt, weil die Beteiligten überhaupt nicht mehr merken, wie sehr sie ihre individuelle Persönlichkeit in den ausschließlichen Dienst wirtschaftlicher Nutzbarkeit stellen (vgl. SZ vom 16./17.9.2000). Folgerichtig haben viele Betriebe von der Kontrolle durch die Stechuhr umgestellt auf die sog. Vertrauensarbeitszeit, weil die „Selbstausbeutungsmechanismen“ ihrer Mitarbeiter weitaus verläßlicher und effektiver funktionieren.

Doch das Unbehagen an dieser Entwicklung wächst; ungebremste Beschleunigung, maßloser „Raubtier-Kapitalismus“ (Jean Ziegler) und grenzenlose Globalisierung werden immer häufiger auch als fundamentale Gefahr begriffen. Was ist dem entgegenzusetzen? Vielleicht könnte eine Rückbesinnung auf andere Lebensweisen und Werte eine gewisse Nachdenklichkeit in Gang setzen, z.B. über so antiquiert klingende Begriffe wie Muße und Müßiggang. „Und in der Tat meinte Muße in dem ursprünglichen Verständnis, wie es die griechische Philosophie vermittelt, das Freisein von ablenkenden Geschäften und die ruhige Schau der Dinge, in der der Mensch ganz in sich selbst ruht. In dieser Gelassenheit und inneren Anteilnahme nimmt er teil an Spiel, Kult, Fest, Feier, in denen sich ihm die Ordnung des Seins symbolisch erschließt“ (Ursula A.J. Becher, Geschichte des modernen Lebensstils, S. 155).

  • Eine kleine Begriffsgeschichte
  • Muße und Zeit
  • Muße und Raum
  • Potentielle Orte der Müssiggangs

Müßiggängers Abendgebet 
Wieder ist ein Tag zu Ende. 
Oh, wie freun sich meine Hände! 
Hab‘ ich auch nicht viel gemacht, 
hab‘ ich doch den Tag verbracht. 
FRED ENDRIKAT